09. Juni 2016 – Offener Brief an den Bürgermeister und die Ratsmiglieder

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir sind darüber sehr erstaunt, dass die Stadt Königswinter den Abriss und Neubau des Lemmerz-Hallenbades ohne einen fachlich fundierten Kostenvergleich mit der Sanierungs­variante beschließen will.

Nach inzwischen 8 Jahren Beratung in Sachen Hallenbad müsste doch bekannt sein, dass ein mit dem Lemmerzbad vergleichbarer Neubau mindestens 8 Millionen Euro kostet. (Im Dezember 2014 ist die Verwaltung nach einer uns vorliegenden Unterlage sogar von 9 Mill. Euro Neubaukosten für ein Hallenbad mit lediglich 1,85 m Wassertiefe ausgegangen.) Für die vollständige Sanierung hat der Architekt Tamburro Kosten von ca. lediglich 4 Milli­onen Euro ermittelt. Nach Darstellung von Herrn Tamburro liegt dieser Kostenberechnung ein Sanierungsplan zugrunde, mit dem das Hallenbad in einen neuwertigen Zustand mit einer Nutzungsdauer und Qualität wie bei einem Neubau versetzt wird. Der wesentliche Unterschied zum vollständigen Abriss und Neubau liegt lediglich darin, dass der intakte und dauerhafte Rohbau aus Beton und Mauerwerk erhalten bleibt. Der Abriss von Beton und Mauerwerk hat nach Darstellung von Herrn Tamburro keine Vorteile für Nutzungsdauer und Folgekosten. Leider haben Vertreter der Stadt Königswinter immer wieder das Gegenteil behauptet, ohne dies sachlich begründen zu können. Herr Tamburro ist hingegen ein aner­kannter Fachmann im Bereich der Badsanierungen mit durchweg positiven Referenzen.

Wir möchten auch dem Vorwurf widersprechen, dass sich unser Verein einseitig auf Sanie­rung des Hallenbades festgelegt hat. Wir befürworten dies aufgrund der Kostenvorteile, die durch das Tamburro-Konzept fachlich begründet sind. Wir hätten auch verstanden, wenn Sie diese Kostenberechnung von einem vereidigten Sachverständigen mit Fachwissen im Bereich von Badsanierungen hätten prüfen lassen. Wenn eine statische Überprüfung des Hallenbads nachvollziehbar belegen würde, dass eine Kernsanierung nicht möglich wäre, würden wir eine Entscheidung für einen Neubau für richtig halten. Doch solche sachlichen Gründe für den Totalabriss und Neubau liegen nicht vor.

Es wäre daher verantwortungslos und widerspricht sicherlich auch der gesetzlichen Vorgabe zur sparsamen Haushaltsführung, wenn die Stadt auf der Basis von bloßen Behauptungen den fachlichen Rat eines ausgewiesenen Fachmanns zu einer deutlich kostengünstigeren Investitionsmaßnahme verwirft. Wir möchten Sie daher bitten, Ihre Verantwortung für die Ihnen anvertrauten öffentlichen Gelder ernst zu nehmen und unseren Vorschlag für die Realisierung der kostengünstigeren Kernsanierung in Ihre Überlegungen mit einzubeziehen:

Nach der Empfehlung eines Fachmanns in leitender Stellung im Bäderbereich einer Groß­stadt sollte die Stadt Königswinter ein erfahrenes Fachbüro in Sachen Badsanierung mit der Projektsteuerung für die Ausschreibung eines Generalübernehmers (GÜ) beauftragen. Der Generalübernehmer übernimmt die Planung und Durchführung der Kernsanierung. (Ein Generalunternehmer macht nur die komplette Ausführung der Baumaßnahme, ohne Planung und Bauleitung) Der Projektsteuerer erstellt lediglich die Vorplanung für die funktionale Aus­schreibung, begleitet das Vergabeverfahren und die Objektüberwachung mit Endabnahme. Aufgrund dieses begrenzten Aufgabenumfangs liegt das Gesamthonorar für diese Projektsteuerung zur Hallenbad-Sanierung unter dem Schwellenwert für eine europaweite Ausschreibung. Die Stadt kann also den Projektsteuerer freihändig beauftragen, ohne zeit­aufwendiges Ausschreibungsverfahren mit ungewissem Ausgang.

Diese Vorgehensweise hat gewisse Parallelen zu den Ihnen bekannten ÖPP-Vergabeverfah­ren. Der Projektsteuerer hat einen ähnlichen Aufgabenumfang wie ein ÖPP-Berater, der ja auch eine funktionale Ausschreibung durchführt und für diesen Leistungsumfang auch frei­händig beauftragt werden kann. (Der ÖPP-Berater erstellt zusätzlich noch die sogenannte Wirtschaftlichkeitsuntersuchung für 30 Jahre, die beim Generalübernehmer-Modell keine Rolle spielt). Der Generalübernehmer übernimmt mit Planung und Durchführung zwei Module aus dem ÖPP-Programm. In der Wissenschaft wird diese Form ohne Betriebsphase (also ohne Instandhaltung für 30 Jahre) als Zwischenform zwischen ÖPP und kommuna­ler Beschaffungsvariante (KBV) eingeordnet und als ÖPP light bezeichnet (z. B. Prof. Thorsten Beckers, TU Berlin). Die Realisierung des Bauprojekts wird vollständig privatisiert. Im Unterschied zum ÖPP-Standardmodell wird auf die 30-jährige Vertragsbindung verzichtet.

Mit dieser Vorgehensweise werden somit sämtliche Privatisierungsvorteile in der Bauphase erreicht, die auch bei einer ÖPP-Vergabe angestrebt werden, ohne die inzwischen hinläng­lich bekannten Risiken und Kostennachteile einer unübersehbar langen 30-jährigen Ver­tragsbindung bei herkömmlichen ÖPP-Verträgen in Kauf nehmen zu müssen.

Doch leider scheint die Stadt Königswinter immer noch die Nachteile und Probleme der 30-jährigen Vertragsbindung und der ÖPP-Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen über diesen unübersehbar langen Zeitraum zu ignorieren. Denn der Stadtrat hat vor, eine solche Wirt­schaftlichkeitsuntersuchung für 30 Jahre in Auftrag zu geben, um die kommunale Beschaf­fungsvariante (KBV) mit dem ÖPP-Standardmodell (Planen, Bauen, 30-jährige Instandhal­tung) für einen Hallenbad-Neubau zu vergleichen. Daher möchten wir darauf hinweisen, dass diese ÖPP-Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen nach einschlägigen Untersuchungs­ergebnissen unabhängiger Wissenschaftler (vor allem Prof. Holger Mühlenkamp, Universität Speyer, und Prof. Thorsten Beckers, TU Berlin, der auch Bundes- und Landesregierungen berät) und der Bundes- und Landesrechnungshöfe aus folgenden Gründen fehler- und manipulationsanfällig sind:

Für die 30-Jahre-Vergleiche ist die Datengrundlage schlecht und nicht ausreichend, um die Festlegung der Eckdaten in den ÖPP-Wirtschaftlichkeitsberechnungen nachvollziehbar und eindeutig begründen zu können. Die Vorgaben aus Leitfäden für die Erstellung der ÖPP-Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen sind zu allgemein. Dadurch haben die ÖPP-Berater erhebliche Spielräume zur Ausgestaltung der Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen. Wegen potentieller Folgeaufträge im ÖPP-Realisierungsprozess besteht auf Seiten der ÖPP-Berater ein erheblicher Fehlanreiz für opportunistisches Verhalten. Die ÖPP-Berater können die mangelnde Datengrundlage und fehlende konkrete Vorgaben dazu ausnutzen, um die Ergebnisse der ÖPP-Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen zugunsten ihres ÖPP-Geschäfts­modells zu verzerren. Die Kommunen wenden wirksame Kontrollmechanismen nach den Erhebungen der TU Berlin in der Praxis nicht an. Auch politische Fehlanreize begünstigen ÖPP, z. B.: Politische Entscheidungsträger brechen einmal begonnene ÖPP-Verfahren, -Prüfaufträge und -Untersuchungen ungern ab.

Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Thorsten Beckers weist zudem darauf hin, dass bei der ÖPP Deutschland AG / Partnerschaften Deutschland ein Interessenskonflikt zwischen „neutraler Beratung“ und der letztendlichen Zielrichtung der ÖPP-Förderung besteht. An dieser Aktiengesellschaft sind Unternehmen aus dem Privatsektor beteiligt, die ein Interesse daran haben, dass ÖPP verstärkt zur Anwendung kommt. Das Forschungsinstitut von Prof. Beckers kritisiert zudem, dass das oben beschriebene Generalübernehmer-Modell in den üblichen ÖPP-Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen nach dem Muster der ÖPP Deutschland AG nicht berücksichtigt wird.

Nach den ÖPP-Erfahrungen anderer Kommunen hätte ein ÖPP-Hallenbad-Vertrag mit 30 Jahren Laufzeit folgende Nachteile, die in den üblichen ÖPP-Wirtschaftlichkeitsuntersuchun­gen nicht berücksichtigt werden:

Während der Vertragslaufzeit ist die Stadt bei möglichen Änderungs- oder Erweiterungs­maßnahmen an den privaten Auftragnehmer gebunden. Die Stadt könnte bauliche und technische Änderungen im ÖPP-Hallenbad 30 Jahre lang nicht im Wettbewerb verge­ben, sondern muss den ÖPP-Auftragnehmer beauftragen, der wegen seiner Monopol-Stellung hohe Preise fordern kann. Beispielsweise hat der Kreis Offenbach bei einem ÖPP-Projekt für Schulen ein finanzielles Desaster erlitten, weil diese nach Vertragsabschluss für den Ganztagsunterricht umgebaut werden mussten, was in den ÖPP-Verträgen nicht verein­bart war. Das Risiko von teuren nachträglichen ÖPP-Vertragsanpassungen in den nächsten 30 Jahren ist auch bei einem Hallenbad sehr hoch, da rechtliche und technische Entwicklun­gen über diesen langen Zeitraum nicht absehbar sind.

Die ÖPP-Verträge mit Finanzierungsleistung sind äußerst kompliziert. Daher bewerben sich nur relativ wenige darauf spezialisierte Bauunternehmen mit juristischen Abteilungen um ÖPP-Projekte. Dadurch ist der Wettbewerb um ÖPP-Projekte sehr eingeschränkt. Zudem ist bei einem Hallenbad die Instandhaltung der technischen Anlagen relativ aufwendig. Die meisten potentiellen Bewerber haben keine Niederlassung vor Ort und müssten hohe Kostenaufschläge kalkulieren.

Dies alles spricht aus unserer Sicht sehr gegen eine 30-jährige Vertragsbindung an ein privates Unternehmen für den Neubau und die Instandhaltung eines ÖPP- Hallenbades. Zu den hohen Mehrkosten eines Neubaus gegenüber der Kernsanierung kämen noch hohe Kosten und Risiken der 30jährigen ÖPP-Bindung hinzu, die von ÖPP-Beratern systematisch unterschätzt werden.

Wir möchten daher an Ihre Verantwortung für die Ihnen anvertrauten öffentlichen Gelder appellieren. Bitte verhindern Sie, dass die Stadt eine fehler- und manipulationsanfällige Wirtschaftlichkeitsuntersuchung durch einen ÖPP-Berater mit eigenem wirtschaftlichem Interesse an einer ÖPP-Realisierung erstellen lässt. Sorgen Sie bitte dafür, dass die städti­schen Mittel stattdessen für einen objektiven, fundierten Vergleich der Varianten Kernsanie­rung und Neubau durch ein im Bäderbau erfahrenes Architekturbüro verwendet werden. Damit könnte auch der Kommunalverband Deutsche Gesellschaft für das Badewesen e.V., Essen, beauftragt werden.

Für Fragen, Hinweise, Kritik und ergebnisoffene Gespräche stehen wir jederzeit gern zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen!

Inge Heuser-Losch
(für den Förderverein „Rettet unsere Lemmerzbäder e.V.“)